Interview mit dem Gentleman: Bernhard Roetzel

Es ist der Relaunch auf den seine Fans schon gewartet haben. Bernhard Roetzel hat sein Standardwerk der klassischen Herrenmode überarbeitet, angepasst und mit zusätzlichen Fotos versehen. Zum Start der neuen Auflage von Der Gentleman stand uns unser Modebuchautor und Stilkritiker Rede und Antwort. Woher kommt Bernhard Roetzels Leidenschaft für Mode? Welche modischen Fehler kann er nicht ausstehen und kann man unseren Autor auch mal in legerer Kleidung antreffen? In unserem Autoren-Interview erhaltet Ihr Einblicke in das Leben von Bernhard Roetzel. Lest selbst:

Lieber Herr Roetzel, Sie sind der Mann, den alle fragen, wenn es um klassische Mode und stilvolles Auftreten geht. Wie und wann haben Sie Ihre Leidenschaft für Stil entdeckt?
Die Leidenschaft muss immer in mir gesteckt haben, denn bereits als Schüler habe ich mich sehr für stilistische Feinheiten beim Äußeren interessiert. Richtig zur Passion wurde es in meiner Studentenzeit. Ich weiß noch, als ich das erste Mal vor dem Schaufenster des Herrenausstatters „Heinrich’s“ in Hannover stand, damals der wichtigste Laden Deutschlands. Als ich all die handgemachten Schuhe, Anzüge, Krawatten und Accessoires sah, wusste ich, dies ist meine Welt.

Der englische Anzug

Der englische Anzug, Bild © Rupert Tenison


Auf Ihrem Stilblog bernhardroetzelblog.blogspot.de nennen Sie sich selbst einen Unmodischen. Warum?
Ich bin durch Thomas Manns „Betrachtungen eines Unpolitischen“ auf den Titel gekommen. Ich will damit sagen, dass ich überwiegend über das schreibe, was die Amerikaner „permanent fashion“ nennen. Dennoch bin ich natürlich auf dem Laufenden über aktuelle Trends, ich bin als mein eigener Trendscout viel in den Innenstädten und auf Messen unterwegs. Ich selbst bin tatsächlich sehr unmodisch, da ich mich überhaupt nicht von aktuellen Strömungen bewegen lasse.

Ihre Bücher wurden bisher über eine Millionen Mal verkauft. „Der Gentleman“ ist das weltweit erfolgreichste Modebuch und in 18 weiteren Sprachen lieferbar. Was ist der Grund für Ihren Erfolg in Zeiten ständig wechselnder Modetrends?
Ich nehme an, dass den Lesern gefällt, wie ich die zeitlose Garderobe anhand ihres historischen Ursprungs erkläre. Ich höre auch oft, dass den Lesern die Prise Humor gefällt, mit der ich die Texte gewürzt habe.

Welche Kleidungsstücke und Accessoires gehören unbedingt in den Kleiderschrank eines Gentlemans?
Ein dunkelblauer Anzug, eine Tweedjacke, ein blauer Blazer, graue Flanellhosen, nussbraune Kordhosen, Khaki-Chinos, hellblau-weiß gestreifte Vollzwirnhemden, ein Lambswool-Pullover, ein Regenmantel aus Baumwollgabardine, ein Paar schwarze Oxfords, ein Paar braune Brogues, ein Paar Raulederchukkaboots, ein Smoking.

Der Smoking

Der Smoking, Bild © Rupert Tenison

Manche Leute haben es, manche eben nicht: Wird man mit Stil geboren, oder ist das etwas, was man lernen kann?
Angeboren oder erworben – das ist eine Frage, die Pädagogen, Philosophen, Soziologen und Politiker seit langem beschäftigt. Ich glaube, dass jeder die Regeln lernen kann. Ob er sie aber so anzuwenden weiß, dass man ihn als elegant oder gut gekleidet wahrnimmt, ist damit nicht gesagt. Fred Astaire hat man nachgesagt, dass er in einem Anzug von der Stange genauso gut aussah, wie im Maßanzug. Das ist nicht bei jedem so. Jeder kann aber seinen Auftritt verbessern. Mit Hilfe meiner Bücher oder auch einfach Dank eines guten Verkäufers.

Sollte man als Mann konventionelle Kleidung, aktuelle Mode und individuellen Stil mischen?
Die Mischung ist sehr wichtig, denn nur noch in sehr wenigen Bereichen ist das eindeutig anlassgerechte Outfit gefragt. Bei einem Black-Tie-Dinner sind Sie mit Smoking samt Zubehör am besten angezogen, bei einer Vernissage, einem Abendessen im Restaurant oder beim Shoppingbummel können Sie aber Klassiker und trendige Teile mixen. Die großen Stilikonen waren alle Meister der Mischung.

Ist Stil eine Frage des Geldes?
Ob Sie den Kopf frei haben für Stilfragen und mit dem Herzen dabei sein können, hat nichts mit dem Geld zu tun. Ich kenne Leute, die mit Kleidung vom Flohmarkt sehr stilvoll aussehen. Viele große Künstler des frühen zwanzigsten Jahrhunderts traten sehr elegant auf, obwohl sie bitterarm waren.

John Lobb

Lobb – Maßschuhe aus London, Bild © Günter Beer


Was spricht für oder gegen den Anzug von der Stange?
Der Anzug von der Stange hat den nicht zu schlagenden Vorteil, dass man sieht, was man bekommt. Und wenn er passt, kann man ihn gleich mitnehmen. Von kleinen Änderungen abgesehen. Sein Nachteil besteht darin, dass er für eine Durchschnittsfigur gemacht ist. Ich war neulich mit einem Bekannten in einem Laden. Wir haben beide die gleiche Größe und haben deshalb einen Anzug anprobiert, der uns beiden gefallen hat. Es war erstaunlich, wie unterschiedlich wir darin aussahen.

Was sind die schlimmsten Fauxpas, die Ihnen bei Männern regelmäßig begegnen?
Ich gehe jetzt bewusst nicht auf die immer wieder genannten Fehler wie die zu kurzen oder weißen Socken, die Kurzarmhemden oder die Kombi aus kurzen Hosen und Sandalen. Die sind seit langem bekannt, wer sich so zeigt, macht das bewusst. Ich finde es viel bedauerlicher, dass viele Männer relativ viel Geld für Anzüge ausgeben, die überhaupt nicht sitzen. Meistens sind sie zu groß zu weit und die Ärmel zu lang. Das liegt oftmals an den Verkäufern. Die lernen bei ihrer Ausbildung alles Mögliche, anscheinend aber nicht die Grundregeln der Passform.

Hat man als Modebuchautor und Stilkritiker auch Vorbilder oder Idole?
Kinder lernen durch Nachahmung. Und jeder, der etwas lernen will, auch. Keith Richard wollte wie Scotty Moore klingen, als er mit der Gitarre anfing. Ich wollte wie John Steed aussehen, der männliche Hauptdarsteller aus der Serie „Mit Schirm, Charme und Melone.“ Später war Prince Charles eine wichtige Inspiration. Ich lasse mich immer noch von gut gekleideten Leuten inspirieren, kleide mich aber meistens nach meiner persönlichen Formel.

Wer ist in Ihren Augen der bestangezogendste Deutsche?
Sie meinen wahrscheinlich den „bestangezogenen Prominenten“. Sicherlich nicht Heiko Maas, obwohl er für 2016 von GQ zum „bestangezogenen Mann“ gewählt wurde. Er ist „okay“ angezogen, vor allem für einen deutschen Politiker, Michel Friedman hat ihn zu seiner Zeit als Mitglied des CDU-Bundesvorstands aber locker getoppt. Für mich rangieren Albert Darboven, Christian Völkers, Prinz Bernhard von Baden und Wolfgang Hölker sehr weit vorn. Dann gibt es auch noch viele hervorragend elegante Herren, die man weniger gut kennt, wie z.B. den Parfumimporteuer Herbert Stricker oder den Herrenausstatter Michael Jondral.

Unterwäsche

Nicht zu unterschätzen – die Unterwäsche, Bild © Günter Beer

Haben Frauen es in Kleiderfragen einfacher?
Nein, denn sie müssen bei der Wahl ihrer Garderobe viel mehr Aspekte berücksichtigen. Und sie unterliegen einem größeren Erfolgsdruck, was nicht selten Leidensdruck erzeugt.

Noch eine persönliche Frage: Sieht man Sie immer im Anzug oder gibt es Gelegenheiten zu denen auch Sie leger angezogen sind?
Natürlich. Sehr oft sogar. Es geht ja darum, immer passend zur Situation gekleidet zu sein. Es wäre Unsinn, im dunkelblauen Anzug zur Grillparty zu gehen. Also gern auch mal lässig. Aber nie nachlässig.

Das Interview führte unsere Pressereferentin Steffi Brune.

Wenn Ihr mehr über Bernhard Roetzel und seine Modetipps erfahren wollt, dann schaut doch mal auf seiner Facebook-Seite vorbei. Dort postet er immer wieder Tipps rund um das Thema Herrenmode und gewährt Euch einen Einblick in seinen Alltag.

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